„Macht euren Kinderwunsch nicht von Liebe abhängig!“

Spiegel online, Kultur, 11.Oktober 2011

Wer ist schuld, wenn die Beziehung scheitert? In ihrem neuen Buch “Warum Liebe weh tut” zeigt Forscherin Eva Illouz, warum Männer emotionale Kapitalisten sind und Frauen sich an Homosexuellen orientieren sollten. Im Interview erklärt sie ihr radikales neues Beziehungsmodell.

SPIEGEL ONLINE: Frau Illouz, in Ihrem neuen Buch “Warum Liebe weh tut” schreiben Sie, man müsse aufhören, die modernen Liebenden mit Rezepten für ein gesundes und schmerzfreies Liebesleben zu traktieren. Sind Sie gegen Selbsthilfeliteratur?

Ich wollte tatsächlich eine Alternative zur psychologischen Sprache der Selbstbezichtigung aufzeigen. Unser Denken und Sprechen über die Liebe ist völlig diesem Vokabular unterworfen. Wird man verlassen und ist erschüttert darüber, heißt es, man würde “zu sehr lieben”. Will ein Mann keine traditionelle Beziehung, heißt es, er habe “Bindungsangst”. Die Psychologie, und ich spreche hier von ihrer vulgären Variante, nimmt an, dass wir als Individuen verantwortlich für unser Schicksal sind – und dass Leiden vermeidbar ist, wenn wir genug an uns arbeiten. Das glaube ich so nicht. Viele Ursachen des Liebesschmerzes sind kollektiv.

Welche kollektiven Ursachen meinen Sie?

Unsere Kultur hat angefangen, es als Zeichen von Abhängigkeit zu sehen, wenn wir uns leidenschaftlich verlieben. Leidenschaft erscheint uns suspekt, uncool, ein bisschen hysterisch. Trotzdem tut die Liebe heute weh – und zwar weil sich die gesellschaftlichen Bedingungen der Partnerwahl verändert haben. Wir sind mit einer ungeheuren Auswahl möglicher Partner konfrontiert, und wir versuchen, so viel sexuelle und emotionale Erfahrung wie möglich anzuhäufen.

Heißt das, der moderne Liebende ist egoistisch?

Der Raum der Liebe ist heute völlig frei von Normen: Jede Form von rücksichtslosem Verhalten ist erlaubt. Liebe, Ehe und Partnerschaft sind nicht mehr von sozialen Verbindlichkeiten geregelt: Wir begreifen sie als Ergebnis des wundersamen Zusammentreffens zweier privater Willen. Nur erweist sich dieser Wille als recht kompliziert.

Sie sagen, wir könnten uns nicht mehr für jemanden entscheiden. Woher kommt diese Zaghaftigkeit?

Sich zu binden, ist immer ein Glaubensakt – man weiß nicht, ob es mit der Liebe funktioniert und muss die Möglichkeit akzeptieren, dass man sich nicht an die bestmögliche Person bindet. Die Existentialisten hatten recht: Man definiert sich durch die Entscheidungen, die man trifft. Nur wird es immer schwerer, sich zu entscheiden. In unserer Welt der unzähligen Wahlmöglichkeiten kommt es zu Ambivalenz und Apathie: Nicht nur der Wille kommt einem abhanden, sondern sogar das Begehren.

Ein Ziel Ihres Buches, schreiben Sie, sei, das Leiden an der Liebe zu lindern. Wie wollen Sie das tun?

Ich möchte, dass Frauen aufhören, sich für das Scheitern einer Beziehung verantwortlich zu fühlen – oder wertlos, weil ein Liebhaber sie verlassen hat. Tatsächlich hat ein großer Teil des romantischen Leidens institutionelle Gründe. In der Moderne erfahren wir Bestätigung größtenteils durch die Liebesbeziehung. Das gilt für Männer ebenso wie für Frauen, nur sind Frauen stärker darauf angewiesen, weil sie meistens noch immer weniger stark im öffentlichen Leben verankert sind. Das Scheitern einer Beziehung fühlt sich für sie oft so an, als werde ihr Selbstwert untergraben. Es gibt eine Asymmetrie zwischen den Geschlechtern – nicht, weil Frauen an sich schwächer wären, sondern aufgrund des sozialen Arrangements. Als Feministin ging es mir darum, die Mechanik dieser emotionalen Asymmetrien aufzuzeigen.

Ihre Beschreibung dieser Asymmetrie zielt vor allem auf Frauen ab, die Kinder wollen.

Tatsächlich ist die Liebe am kompliziertesten für Frauen, die Familienleben mit Romantik – und das heißt heute: ihrer eigenen Freiheit und Autonomie – kombinieren wollen. Eine Frau, die sich für Familie entscheidet, wird abhängiger vom Wohlwollen eines Mannes. In vormodernen Zeiten war es für Männer selbstverständlich, einen Haushalt zu gründen. Heute ist ein konventionelles häusliches Arrangement für sie weit weniger dringlich. Sie haben in der Kinderfrage mehr Zeit, außerdem hängt ihr sozioökonomischer Status weniger von Heirat und Familie ab. Frauen, die heute eine konventionelle Familie wollen, haben keine Handhabe, ein anderes Arrangement der Geschlechter zu fordern: Beziehungen sind heute weitgehend durch Freiheit und Autonomie definiert.

Ein Schlüsselbegriff scheint da “erotisches Kapital” zu sein. Was genau bedeutet das?

Das erotische Kapital bezeichnet, wie attraktiv wir für andere sind, die Menge unserer sexuellen Erfahrung, die Zahl unser Sexualpartner – und wie wir all das in soziales Kapital konvertieren können. Wir denken über uns selbst in Begriffen der sexuellen Leistung, davon müssen wir wegkommen. Ich habe keine moralische Sicht auf den Sex, aber den Selbstwert an sexuelle Attraktivität oder sexuelle Leistung zu binden, erweitert die Bandbreite unserer Begegnungen nicht. Im Gegenteil: Es engt uns ein.

Können Sie das ausführen?

Die Idee von Sex, der dem Vergnügen dient und nicht der Reproduktion, war extrem wichtig, sowohl politisch als auch moralisch. Aber wir sind noch einen Schritt weiter gegangen: Sexualität, sexuelle Attraktivität und sexuelle Erfahrung haben Männer und Frauen sehr eindimensional neu definiert. Sie stehen mittlerweile im Zentrum von Beziehungen. Gefühle gelten nur mehr als lästige, hinderliche Randelemente. Ich glaube, dass genau diese Form sexueller Freiheit zu einer neuen emotionalen Herrschaft von Männern über Frauen geführt hat.

In “Warum Liebe weh tut” haben Sie dafür folgende Erklärung: Die Männer agieren schlicht als emotionale Kapitalisten. Auf den Heiratsmärkten sind bindungswillige Frauen im Übermaß vorhanden – also machen die Männer ihre Bindungswilligkeit zum raren Gut. Das klingt ein bisschen nach dem Standardargument “Männern und Frauen sind eben von Natur aus verschieden”.

Ich denke, es ist genau andersherum. Die Moderne hat bestimmte Männer hervorgebracht – und wir ziehen nun Erklärungsmuster aus der Biologie heran, um das zu rechtfertigen. Dabei gibt es genug historische Beispiele für andere Formen von Männlichkeit. Im 19. Jahrhundert etwa war sie wesentlich durch Leidenschaft und den Willen zur Bindung definiert. Selbst wenn es eine Biologie der Geschlechter gäbe, könnte sie durch soziale Normen verändert werden. Genau diese Normen sollten wir diskutieren, nicht eine hypothetische “biologische Natur”. Die unterschiedliche Sexualität von Frauen und Männern ist ein Spiegel ihrer sozialen Stellung. Im Ernst, denken Sie darüber nach: Geben Sie den Frauen Macht und Geld, machen Sie sie zu Staatsführern, und lassen Sie die Männer in Konferenzen den Frauen den Kaffee servieren, ihre Kinder aufziehen und das Abendessen machen – dann wären die Männer diejenigen, die sich nach einer gefestigten, monogamen Beziehung sehnen.

Trotz allem haben Sie die Hoffnung auf “neue Formen leidenschaftlicher Liebe”. Am Schluss Ihres Buches klingen Sie, als bräuchten wir dafür eine Art Manifest. Was stünde darin?

Das erste Gebot dieses Manifests wäre: Es ist nicht uncool, die eigenen Werte und Grundsätze auch auf die Liebe anzuwenden. Schon bei Platon steht, wie jemand liebt, sei Ausdruck der Größe seines Charakters. Mein zweites Gebot wäre, dass Leidenschaft cool ist – nicht Distanziertheit. Bedürftigkeit gehört zu einer Liebesbeziehung dazu. Drittens ginge es darum, ein anderes Modell von Männlichkeit in den Vordergrund zu schieben.

An was für ein Modell von Männlichkeit denken Sie da?

Eines, bei dem Abhängigkeit, Verletzbarkeit und Leidenschaft zu einem “echten” Mann dazugehören. Eines, in dem wir das Verhältnis von Autonomie und Fürsorge neu formulieren.

Und was ist mit den Frauen?

Den Frauen möchte ich sagen: Macht euren Kinderwunsch nicht abhängig vom Wunsch nach romantischer Liebe. Wenn ihr Kinder wollt, bekommt sie allein – oder in einer Gemeinschaft mit anderen Frauen, die ebenfalls Kinder wollen. Oder mit Männern, die Kinder wollen, aber nicht eure Partner sind. Es braucht keine traditionelle Familienstruktur, um Kindern aufzuziehen. Ich glaube wirklich, dass Homosexuelle in vielem die Avantgarde der Gesellschaftsentwicklung bilden, etwa bei der Frage der Trennung von Elternschaft und sexuell-romantischen Beziehungen: Manchmal korrespondieren sie, manchmal nicht. Und wenn sie nicht korrespondieren, sollte man sie getrennt verfolgen. Ich glaube, wir werden in diese Richtung gehen. Wir sollten es.

Das ist ziemlich radikal.

Es ist eine Mischung. Im Grunde bin ich hypermodern und viktorianisch zugleich. Hypermodern, weil ich die Familie nicht als Ideal sehe, das es zu bewahren gilt. Und viktorianisch, weil ich trotzdem auf Werte und Charakter poche. Beim modernen Selbst geht es um Flexibilität. Nur: Wenn man gesellschaftliche Strukturen verändern will, braucht es Leute, die sich festlegen. Verbindlichkeit kann sich erst dann einstellen, wenn es feste Werte gibt.

Sie scheinen der dauernden Selbstbefragung nicht zu trauen.

Wenn wir nach innen schauen, sehen wir oft schlicht ungeheure Unordnung. Schwankende Gefühle, unklares Begehren und Wünsche, die miteinander in Konflikt stehen. Authentizität ist eine terroristische kulturelle Idee. Sie zwingt einen, nach der Quintessenz des eigenen Wesens zu suchen: Aber oft gibt es diese Quintessenz nicht. Gefühle, ebenso wie Menschen, sind Größen, die sich verändern.

Warum halten wir so unverdrossen an der Idee der romantischen Liebe fest?

Es gibt diese tiefe Sehnsucht danach, dass jemand die Einzigartigkeit unserer Existenz anerkennt. Und die Idee der Liebe ist auch deshalb so kostbar für uns, weil sie nicht eigennützig ist. Sie ist absichtslos, und genau das macht die Schönheit der Liebe aus.

Sie sind gegen jede Berechnung.

Ich bin ganz für Vernunft, aber ganz gegen Berechnung. Leidenschaft darf nicht von der Vernunft getrennt sein. Es ist grundfalsch, jemanden zu lieben, der einen nicht zurückliebt. Das Herz sollte keine Fehler machen.

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,790592,00.html