“Resonanz auf Facebook ist nicht nachhaltig”

Interview mit Hartmut Rosa, NZZ, 11.3.2018

Sich von der Welt berühren, bewegen, ansprechen zu lassen, das gehört zu einem gelingenden Leben, sagt der Soziologe Hartmut Rosa.

Wenn Hartmut Rosa einen Titel entschieden zurückweisen möchte, dann ist es dieser: Entschleunigungsguru. Der Soziologe, der an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena lehrt, ist mit seinem Buch «Beschleunigung» bekannt ge- worden. Das war die Zeit, als der Begriff «Entschleunigung» erfunden wurde – als Gegengift zu Burnout und gesellschaftlichen Krisensymptomen. Rosa hat weniger Tempo nie für die alleinige Lösung gehalten. In seinem neuen Buch «Resonanz» versucht er nicht weniger als eine Soziologie des gelingenden Lebens. So fängt es an: «Wenn Be- schleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.»

Herr Rosa, was ist Resonanz?

Ich verstehe Resonanz als eine bestimmte Weise, mit der Welt in Verbin- dung zu treten. Resonanz ist kein Ge- fühlszustand, sondern ein Beziehungsmodus. Diese Beziehung zur Welt ist da- durch gekennzeichnet, dass uns da Draussen etwas anspricht, bewegt oder berührt. Und dass wir umgekehrt das Gefühl haben, wir können die Welt er- reichen und eine Art Spur hinterlassen.

Sie schreiben: Ob das Leben gelingt oder nicht, hängt von der Qualität dieser Weltbeziehung ab.

Ich glaube tatsächlich, Grundbestandteil eines gelungenen Lebens ist ein dialogisches Antwortverhältnis zur Welt.

In der Akustik spricht man von Resonanz, wenn ein Klangkörper schwingt und dadurch ein anderer Körper in Schwingung versetzt wird. Diese Wechselseitigkeit gibt es in Ihrem Resonanzbegriff auch: Die Welt erreicht mich, und ich kann die Welt erreichen?

Ja, und diese Resonanzachsen, wie ich sie nenne, beschränken sich nicht nur auf soziale Beziehungen, Liebe oder Freundschaft. Es geht auch um die Weise, wie wir mit Objekten umgehen und um eine Grundbeziehung zum Leben selbst.

Es gibt also eine individuelle Architektur der Resonanz, die man für sich selber herstellen muss?

Genau, wobei diese Achsen für Menschen unterschiedlich verlaufen. Manche würden sagen: Ich mache Resonanzerfahrungen im Wald, am Meer, in den Bergen, vielleicht in meinem Gemüsegarten. Sie erfahren sich in der Natur als Teil eines lebendigen Kosmos. Für andere ist es Kunst oder Literatur, wo sie sich vergewissern, dass sie lebendig sind.

Jetzt könnte man sagen: Was ist Ihr Problem? Leben Sie doch einfach resonant!

Ja. Aber Resonanz ist eben keine Haltung, die man sich allein durch so etwas wie Achtsamkeit anerziehen könnte. Resonanz ist ein Modus der Beziehung zwischen Subjekt und Welt – und der kann an beiden Seiten scheitern. Des- wegen zielt mein Buch ja auf eine Kritik der Resonanzverhältnisse. Wenn wir die Weltseite in den Blick nehmen, lautet meine Analyse: Wir leben in einer Welt, deren soziale und ökonomische Verfassung auf Steigerung geeicht ist. Und diese Steigerungsleistung erzwingt ein Weltverhältnis, das auf Verdinglichung gerichtet ist. Ich kann mit Menschen nur konkurrieren oder resonieren, aber nicht beides gleichzeitig.

Ihre Diagnose ist auch, dass wir die Frage nach dem guten Leben privatisiert haben. So kommt es zur «Ressourcenfixierung»: Wir haben uns darauf verständigt, die Bedingungen des guten Lebens zu verbes- sern. Sie sagen: Genau das verhindert das gelingende Leben. Warum?

Weil wir Resonanz auch als Ressource behandeln. Wir übersetzen Resonanzbegehren in Objektbegehren. Alle Dinge, die wir kaufen, enthalten eigentlich ein Resonanzversprechen – was dazu führt, dass wir Objekte anhäufen, aber die Resonanzerfahrung gerade nicht machen. Wir arbeiten in einem beschleunigten, wettbewerbsorientieren Verdinglichungsmodus, aber Freitagabend im Konzert will ich plötzlich mein Weltverhältnis ändern und auf Resonanz schalten. Wir brauchen einen resonanten Alltag, nicht resonante Oasen.

Entfremdung ist Ihr Gegenbegriff zu Resonanz. Wie definieren Sie ihn?

Wir sind entfremdet von der Welt, wenn wir das Gefühl haben, dass wir keine Verbindung zu ihr haben, dass wir fremd in die Welt gestellt sind. Ich kann mit meiner Familie am Frühstückstisch sit- zen und mich fragen: Was habe ich mit diesen Menschen eigentlich zu schaffen, ausser dass ich für sie sorgen muss? Oder ich kann zur Arbeit gehen und mich fragen, was ich da eigentlich tue. Ich habe dann Beziehungen, aber die bedeuten mir nichts, ich fühle mich nicht verbunden. In der Entfremdung scheint mir die Welt stumm, schweigend, gleichgültig oder sogar feindselig.

Könnte man nicht auch sagen, wir seien zu sehr auf Resonanz im Aussen bedacht? Social media, die Suche nach Likes: Wir tönen hinaus, und es soll unbedingt zurücktönen.

Ja, man sieht eine grosse Sehnsucht nach Resonanz – und umgekehrt die Angst, dass einen die Welt vergisst, dass man unsichtbar wird. Wir haben ein fast panikartiges Verhältnis zur Welt entwickelt. Jedes Vibrieren des Handys in der Tasche signalisiert ja: Jemand denkt an mich! Und wir reagieren dann ent- sprechend. Facebook ist sicher ein Resonanzmedium, aber diese Art der Resonanzvergewisserung ist ungeheuer prekär. Erstens ist sie nicht nachhaltig, und zweitens verbleibt sie selber in der Logik der Quantifizierung und Steigerung. Wenn jemand einen Post veröffentlicht, und bekommt weniger Reaktionen als vorher, stellt sich schnell das Gefühl ein, er oder sie sei auf dem absteigenden Ast. Wir erfahren uns durch die Likes nicht auf eine grundlegende Weise als resonant in die Welt gestellt.

Wie würden Sie Selfies interpretieren? Als Wunsch, dass die Welt mich sieht?

Ich glaube, es ist ein Versuch, uns sichtbar machen, gerade auch in unserer Be- ziehung zur Welt. In der Regel sind Selfies ja an einem bestimmten Ort aufgenommen, oder mit einem bestimmten Star. Wir versuchen, uns eine Verortung zu geben, und unsere Verbindung zur Welt für andere sichtbar zu machen.

Sie gebrauchen ein für einen Soziologen erstaunliches Vokabular. Sie sprechen von der notwendigen «libidinösen Bindung» ans Leben, von dem «vibrierenden Draht zwischen uns und der Welt». Kann es sein, dass wir über Resonanz fast nicht sprechen können, weil sie in unseren gängigen Kategorien nicht fassbar ist?

Das ist tatsächlich so. Resonanz ist unverfügbar, sie ist nicht zielstrebig herstellbar. Sie ist eine Begegnung mit einem anderen, und darum eben nicht kontrollierbar oder beliebig steigerbar.

Andrerseits werden ja Fragen des Stils überall verhandelt. Lifestyletexte, Stilkolumnen, die besessene Selbstoptimierung: Wie geht das mit Ihrer These zusammen?

Der Vorteil ist, dass jeder und jede weiss, was eine Resonanzbeziehung ist. Resonanz ist keine Kulturtechnik, die mühsam erlernt werden müsste. Das lässt sich ganz einfach über physische Reaktionen erfahren – Gänsehaut etwa, oder leuchtende Augen.

Sie sagen: Uns fehlt die Vision für ein anderes Weltverhältnis. Was ist Ihre?

Ich suche nach den Konturen einer Gesellschaft, die modern bleibt im Sinne von pluralistisch, demokratisch und auch liberal, die aber nicht auf Steigerung angewiesen ist, um den institutionellen Status Quo zu erhalten. Wenn wir resonante Weltverhältnisse schaffen wollen, müssen wir die Steigerung als blindlaufenden Zwang überwinden.

Wie geht das?

Da scheinen mir drei Dinge nötig. Erstens: Ich halte Märkte und Wettbewerb in bestimmten Bereichen für sinnvoll, aber Wettbewerb ist kein Endzweck. Wir brauchen eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse hin zu einer Wirtschaftsdemokratie. Zweitens brauchen wir eine Veränderung des Sozialstaats. Ich bin ein grosser Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens, weil es die Weise unseres In-die-Welt-gestellt-Seins fundamental verändern würde.

Sie schreiben, das bedingungslose Grundeinkommen würde «die Existenz pazifizieren». Können Sie das erläutern?

Der gegenwärtige Sozialstaat lässt uns ja auch nicht verhungern, aber er entzieht uns den Ort in der Welt. Wer von Sozialhilfe lebt, der ist im gegenwärtigen Verständnis ein Schmarotzer, er stirbt fast so etwas wie einen sozialen Tod. Alle Zuteilungsmechanismen, besonders die von Status, hängen an der Erwerbsfähigkeit. Unser Weltverhältnis würde sich fundamental verändern, wenn wir sagten: Dein Grundplatz in der Welt ist gesichert.

Und die dritte Veränderung?

Wir brauchen einen anderen kulturellen Masstab. Ich hoffe, mit der Resonanzidee einen Ansatz gefunden zu haben, wie Weltbeziehungen eher gelingen könnten.

Sie verwenden das Bild des Malers und sagen: Wir perfektionieren die Leinwand, aber wir malen nicht. Übertragen gesprochen: Wir bereiten das Leben vor. Wäre das der notwendige Paradigmenwechsel: Leben, statt Leben vorbereiten?

Das ist tatsächlich so. Wir leben in Verhältnissen, in einer Kultur, die das Leben selbst aufschiebt – und wenn wir nicht aufpassen, dann verschieben wir es auf den St. Nimmerleinstag.