Dress up, fashion is over

taz, Kultur, 8.5.2018

Die Grenze zwischen Design und Trageweisen verschwindet, zwischen Schnitt und Styling – und damit die Grenze zwischen Designer und Trägerin.

Vor Kurzem waren die Modenschauen für den kommenden Winter zu sehen. Es gibt in einigen Kollektionen einen neuen Fokus auf die Form, der ganz interessant ist. Das Erste aber, das man dazu sagen muss, ist: Wir brauchen einen neuen Modebegriff. Andere Zyklen, eine andere Tragedauer, weniger Trash. Nicht, weil die Schauen bemerkenswert schrecklich gewesen wären. Sondern deshalb, weil sich unsere Idee von dem, was „die Mode“ ist, schon seit einer Weile merkwürdig abgelöst hat von dem, was real da ist.

„Die Mode“ ist eine konkrete Erscheinungsform, die lanciert wird, sich durchsetzt, schließlich überall ist und dann wieder verschwindet. Oder nicht? So wird ja über sie geredet, wenn man über die „neuen Kollektionen“ spricht. Nur – würde es „die Mode“ noch geben, müsste man das sehen können. Genauer: Man müsste sehen können, dass 2018 ist.

In der U-Bahn, in Konferenzräumen, auf Redaktionen und Wochenmärkten. Man sieht es aber nicht. Hinweise gibt es, Sprengsel. Es gibt noch Trends, meist in Form von Trageweisen oder Stylingthemen, die eher lokal sichtbar sind. Aber „die Mode“, dieses große „Trägt man das jetzt so?“ gibt es nicht mehr.

Was einerseits am Tempo liegt. „In“ und „Out“, das ist mittlerweile ein ständig fliegender Wechsel. Es gibt diverseste Formen und Stile gleichzeitig, von Second Season über Second Hand bis Vintage. Zugleich sind die „neuen Kollektionen“ nicht anders genug, um wirklich neu zu sein.

Vor allem aber ist es so: „Die Mode“ setzt die Lust voraus, etwas mit den anderen gemeinsam zu haben – das ist die Idee vom Zeitgeist, vom Capter l’air du temps. Nur: Man will heute nicht mehr so aussehen wie die anderen. Der Mode sind quasi ihre Bedingungen abhandengekommen.
Die Logik des Besonderen

Warum die Position des Allgemeinen derzeit als wenig erstrebenswert gilt, erklärt das neue Buch des Soziologen Andreas Reckwitz ganz gut. Er beschreibt in „Die Gesellschaft der Singularitäten“ einen Strukturwandel von der „Logik des Allgemeinen“ hin zur „Logik des Besonderen“. Das Besondere, das Einzigartige, das Singuläre, sagt Reckwitz, werde in der Spätmoderne zur Norm.

An dieser neuen Norm ist bemerkenswert, dass sie sich ständig verschiebt. Das Singuläre ist nicht notwendig das Einzigartige, sondern meist das als besonders erkannte Besondere. Dieses Singuläre ist immer eine Publikumsrelation: Es wird im Sozialen hergestellt.

Reckwitz spricht hier vom „zertifizierenden Publikum“. Hübsch paradox also, dass die grandios nebulösen „anderen“ zur eigenen Zielgröße werden, obwohl man doch auf das Besondere, das Individuelle, zielt. So erklärt sich auch der Satz, der heute, wenn man über Mode spricht, am häufigsten zu hören ist: „Alle sehen irgendwie gleich aus.“

Und jetzt? Es gibt die Mode nicht mehr – so far, so good. Nur: Wir kleiden uns ja noch. Und irgendetwas zentriert die Entscheidungen, die man trifft. Aber eben: Was? Es ist vielleicht die interessanteste Frage, die man sich in der Mode überhaupt stellen kann: Was interessiert mich an ihr? Jeder Designer muss sie beantworten – ganz grundsätzlich, und dann mit jeder Kollektion neu. Mode ist ästhetisches Spiel, Proportion und Silhouette, Materialität und Farbe.

Designer befragen im Entwurfsprozess ihre eigenen Entwürfe: Ist da etwas Interessantes? Und wenn ja, was ist interessant daran? Sich kleiden, das ist das gleiche Spiel. Es kann darum gehen, wie man sich in einem Kleidungsstück bewegt, ob der Stoff die Bewegung mitmacht oder verhindert. Ein schwerer Mantel umhüllt einen anders als ein zittriges Chiffonteil.

Die eigene Weise, sich anzuziehen, kann konzeptuell sein, eine Vorliebe fürs Verhüllen oder Exponieren, fürs Auffallen oder fürs Grey­mousing oder für das grellstmögliche Unterlaufen von Codes. Darum geht es in der Mode künftig: sehen lernen. Und sehen: Was ist Interessantes daran?

Dass die Entscheidungen, die man trifft, nicht nur für eine Saison gedacht sind, ist in einer realen Garderobe ohnehin der Fall. Für die Designer ist genau das jetzt die Herausforderung: Wie entwirft man eine Kollektion, die für längere, also: nachhaltigere Zyklen geschaffen ist?

Mittlerweile wird in den Schauenkritiken sogar der dead stock, die riesigen Warenlager an nicht verkaufbarer Kleidung, zum Thema. Wenn eine Kollektion, wie die von Vetements, absichtlich aussieht wie auf dem Flohmarkt zusammengesucht, wird angemahnt: Wieso nicht gleich das upcyclen, das ohnehin vorhanden ist?

Was die Frage der längeren Zyklen angeht, gibt es die Strategie, die Weise, wie Dinge heute getragen werden, ins Design zu bringen. Vetements hat sie in den letzten Saisons populär gemacht: Scheinbar Übereinandergetragenes wird über den Schnitt zur Konstruktion – wie in der Kollektion für den nächsten Winter etwa die protektiven Doppelmäntel.

Auch bei Y/Project ist das zu sehen: der Jeansbund, einseitig höher gezogen, in Falten gelegt, mit der Innenseite sichtbar. Die geraffte Bluse, die Schulterpunkte nach vorne verzogen, was halb bockig und halb versponnen aussieht. Oberteile aus großzügig drapiertem Seidentaft, mit einem Anklang von DIY, am eigenen Körper drapiert. Es ist nicht bloß Dekonstruktion, sicher kein didaktisches „So sieht dein Kleid von innen aus“.

Eher ist es so, dass die Grenze zwischen Design und Trageweisen verschwindet, zwischen Konstruktion und Styling – und damit die Grenze zwischen Designer und Träger. Was ist hier das Original: Die Trageweise, die den Entwurf inspiriert hat? Oder der Entwurf, der sich genau anschaut, was eine bestimmte Weise des Tragens mit der Silhouette, dem Volumen, der Proportion macht?

Bei der neuen Konzentration auf die Form ist die Frage ähnlich: Was macht es mit dem Körper, wenn eine entschiedene Form auf ihn trifft? Die Rückkehr der Shapes hat auch mit dem 80s-Revival zu tun – aber in den besten Fällen ist es mehr als eine Wiederaufnahme.

Bei Balen­cia­ga wurde der Körper digital vermessen und 3-D als Schaumstoff-Torso gedruckt, auf dem dann der Wollstoff aufgebracht wurde. Diese Doppelreiher mit den ausgeformten Hüften, ob Jackett oder Mantel, haben etwas Rüstungshaftes und trotzdem eine Weichheit.

Marc Jacobs hat in seiner Kollektion quasi das Volumen hochgedreht. Das Oversize der Achtziger hat er um den Faktor 1.5 verdoppelt mit diesen Mänteln, die nicht zusammenfallen, sondern in weiter V-Form viel Raum einnehmen. Ein roter Einreiher, der schönste Mantel-Look, ein mintgrüner Doppelreiher oder ein Tweedkostüm, dessen Schulter­partie fast das Doppelte der echten darunter erreicht. Knitwear bringt die V-Form in die schmalere Silhouette.

Wer das trägt, der lässt sich überformen von dem Kleidungsstück. „Body meets dress“, so hieß einmal eine Kollektion von Comme des Garçons. Jetzt, wo es „die Mode“ nicht mehr gibt, geht es genau um dieses Aufeinandertreffen. Fashion is over. Dress up.